Zweischriftigkeit

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Achim Rabus (Freiburg)

Von Diglossie zu Diglyphie?
Sozio- und Schriftlinguistik des Russischen im 17. und 18. Jahrhundert

Die Sprachsituation in Russland kann bis ins 17. Jahrhundert als Diglossie zwischen dem Kirchenslavischen russischer Redaktion und dem ostslavischen vernacular bezeichnet werden (Uspenskij 2002). Auf Schriftebene wurden diese beiden Varietäten in der Regel – bis auf die handschriftliche Kursivschrift – jedoch kaum differenziert, es wurde jeweils das traditionelle kyrillische Alphabet, die azbuka, verwendet.

Ab dem 19. Jahrhundert ist von einem vollkommen anderen Zustand auszugehen: Der vernacular wurde polyfunktional, das Kirchenslavische wurde in die kleine Nische des Liturgischen gedrängt. Mit der Emanzipation des vernacular ging die Einführung und Ausbreitung einer neuen Form des kyrillischen Alphabets einher – der von Peter dem Großen propagierten bürgerlichen Schrift, der graždanka, die im Vergleich zur azbuka ein vereinfachtes Zeicheninventar und vor allem an der lateinischen Schrift orientierte Glyphenformen aufweist.

Im Vortrag soll die spannende Zeit zwischen den beiden statischen Situationen – Diglossie mit Monoglyphie bis zum 17. Jahrhundert versus vernakuläre Quasi-Monoglossie mit neuem Alphabet ab dem 19. Jahrhundert – in den Blick genommen werden. Zu fragen ist danach, in welchem Zusammenhang die Auflösung der Diglossie und die Einführung der Diglyphie zu Beginn des 18. Jahrhunderts stehen. Welche Konsequenzen hat die bewusst propagierte Diglyphie für die weitere Entwicklung der russischen Sprache? Findet gleichsam eine Art »Befreiung« vom Kirchenslavischen statt, dadurch, dass der vernacular nicht mehr ins kirchenslavische orthographische Gewand gepresst werden muss? Wo zeigen sich Brüche, Überlagerungen und Inkonsequenzen?

Diese und weitere Fragen sollen anhand gedruckten Quellenmaterials vorwiegend aus dem 18. Jahrhundert bearbeitet werden.

Uspenskij, B. A. (2002): Istorija russkogo literaturnogo jazyka (11.-17. vv.). Moskva.