Zweischriftigkeit

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Anastasia Antipova (Tübingen)

Kyrillisches vs. lateinisches Alphabet in der Geschichte des Weißrussischen

Der Einfluss der russischen Orthodoxie des Ostens und der des Katholizismus des Westens spielte eine entscheidende Rolle für die Verwendung der kyrillischen und der lateinischen Schrift in der Geschichte der weißrussischen Sprache. Im Großfürstentum Litauen, das sich anfänglich unter dem Einfluss der ostslavischen Kultur entwickelte, bildete sich seit dem 14. Jahrhundert das Altweißrussische zur Kanzleisprache heraus. Die Blütezeit des Altweißrussischen, das mit kyrillischen Buchstaben geschrieben wurde, fiel ins 16. Jahrhundert. Nach der Gründung des gemeinsamen Staates Polen-Litauen 1569 geriet jedoch die orthodoxe Bevölkerung allmählich unter den Einfluss des Katholizismus. Die polnische Sprache und die Lateinschrift galten ab dahin als Zeichen des Prestiges und erleichterten den Zugang zur westlichen Kultur. Im 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwendeten die weißrussischen Autoren fast ausschließlich die Łacinka (d. h. das weißrussische lateinische Alphabet) für ihre Werke. Die Situation änderte sich erneut nach der Dreiteilung Polens. Die ab 1840 als Teil des »Nordwestlichen Gebiets« bezeichneten weißrussischen Provinzen gerieten unter starken Einfluss der Orthodoxie und der rigorosen Russifizierungspolitik des Zarenreiches, die die Verwendung der kyrillischen Schrift begünstigten.

Im Vortrag soll also ein Überblick über das »Wechselspiel« zwischen dem kyrillischen und lateinischen Alphabet für die weißrussische Sprache vom Mittelalter bis heute gegeben werden. Dabei soll geklärt werden, wann es in der Vergangenheit Phasen von Zweischriftigkeit gegeben hat. Welche geschichtlichen Ereignisse und gesellschaftlichen Faktoren außer der Konfession haben die Wahl zwischen den beiden Schriften beeinflusst? Wie ist die Situation heute? Es wird auch die Frage zur Diskussion gestellt, ob die Łacinka in Weißrussland eine Zukunft hat.